Fett sein

Fett sein

von Anna Kumher

Fett sein bedeutet für mich als Person ständig Hass und Abscheu zu erzeugen. Im Sommer noch mehr als im Winter, wo ich meinen Körper hinter Mantel und langen Hosen verstecken kann. Manchmal sind es Blicke, manchmal Lachen, manchmal auf mich zeigende Finger, manchmal Beleidigungen oder Anfeindungen und manchmal körperliche Gewalt.

Man will dicke und fette Menschen nicht sehen. Man will die Existenz von dicken und fetten Menschen verleugnen. Dicke und Fette sollen unsichtbar sein. Sie sollen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ich soll nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Deshalb verstecke ich mich so gut wie ich es kann, aber ich muss raus, will rausgehen können. Arbeiten, Einkaufen, liebe Menschen treffen, Freizeit, zu Ärzt*innen gehen. Dann versuche ich mich so klein wie möglich zu machen: dunkle Kleidung, weite Kleidung, lange Kleidung. Bloß nicht noch mehr auffallen, denn das mache ich ja sowieso schon. Ich vermeide jeglichen Körperkontakt aus Sorge, man könnte sich vor mir ekeln. Mache mich unsichtbar, möchte am liebsten verschwinden.

Selbstliebe ist für mich ein Fremdwort: was für viele Menschen ein Weg ist sich mit dem eigenen Dasein auseinanderzusetzen, ist für dicke und fette Menschen ein Hohn. Ich soll mich und meinen Körper lieben, obwohl mir mein ganzes Leben lang eingeredet und beigebracht wurde, dass mein dicker und fetter Körper nicht liebenswert ist. Und Gesundheit?! Alle sprechen von Gesundheit und dass dicke und fette Menschen ungesund sind. Es geht euch nicht um Sorge um meine Gesundheit, es geht euch darum dicke und fette Körper abzuwerten, man kann einem Körper von außen nicht ansehen ob er gesund ist oder nicht. Und für wen soll ich eigentlich gesund sein? Muss ich gesund sein? Darf ich nur glücklich sein, wenn ich gesund bin?

Ich soll Sport machen und mich gesund ernähren, aber niemand soll mich dabei sehen. Ich könnte schwitzen, schwitzende dicke und fette Menschen sind eklig, sagen sie. Wenn ich mich aber
verstecke, keinen Sport mache und nicht schwitze, bin ich faul. Das ist das, was die Welt von mir will: klein, schmal, unauffällig soll ich sein. Bin ich es nicht, werden Menschen gewalttätig. Körperlich, sprachlich. Mich will ja niemand, deshalb ist sexuelle Belästigung doch ein Kompliment. Ich bin nicht liebenswert, deshalb soll ich bei Partnerschaft nicht wählerisch sein. Wenn mir jemand psychische Gewalt antut, bin ich doch selbst dran schuld, weil ich bin dick und fett.

Dick und fett. Faul und dumm. Bequem und schwerfällig. Verfressen und maßlos.
Das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich möchte mich im Sommer nicht mehr unter langer Kleidung verstecken müssen. Mich nicht mehr trauen Schwimmen zu gehen. Mich ganz normal mit meinen Freund_innen zum Eis essen treffen, ohne dass mir Fremde sagen, dass ich aufhören soll zu essen. Mir sexuelle Belästigung nicht gefallen lasse, weil es ein angebliches Kompliment ist. Mir nicht mehr von ärztlichen medizinischem Fachpersonal einreden lassen, dass Abnehmen die Lösung für alle medizinischen Probleme ist. Ich möchte mich nicht mehr verstecken. Ich möchte Fatshaming sichtbar machen. Es darf nicht mehr passieren, dass Menschen aufgrund ihres Gewichts diskriminiert, benachteiligt, gehasst werden und Gewalt erfahren.
Menschen kommen in verschiedensten Formen: dick und fett sind nur zwei davon.

Anna betreibt den Instagram-Kanal wenigstenseinhübschesgesicht, auf dem sie fatshaming sichtbar machen möchte:
https://www.instagram.com/wenigstenseinhuebschesgesicht/

Der MDR aktuell-Artikel zum Thema Fatshaming, für den unter anderem Anna Kumher interviewed wurde:
https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/stigmatisierung-fat-shaming-adipositas-kongress-uebergewicht-mehrgewicht-100.html