Sexuelle Befreiung

Sexuelle Befreiung

von Parwaneh, vorgetragen bei “Leipzig Spricht…über sexuelle Machtstrukturen” am 27.9.2020

Intersektionen
Von sexuellen Machtstrukturen sind nicht nur Frauen betroffen, sondern auch Femmes und weiblich
gelesene Personen, was auch nicht-binäre und intersexuelle Menschen mit einschließen kann. Und
ja auch Männer, natürlich nicht in gleichem Maße. Die Gruppe an Menschen, die unter diesen
Strukturen leidet, ist also um einiges diverser, als ihr nun vielleicht denkt.
Abgesehen von der geschlechtlichen Vielfalt, gibt es darüber hinaus noch Intersektionen, die dem
Thema sehr unterschiedliche Gesichter geben können. Wer schwarz, indigen oder eine person of
color ist macht andere Erfahrungen als weiße Frauen. Wieder andere Erfahrungen machen
Personen, die eine Be_hinderung haben, in prekären Verhältnissen leben, queer sind, eine
psychische Krankheit haben und so weiter. (chronische Krankheiten haben, Alter)
Vielleicht fragt sich die ein oder andere Person hier, ob es wirklich nötig ist, all diese Identitäten
aufzuzählen. Nun, ich hoffe es wird irgendwann nicht mehr nötig sein. Aber wenn wir an sexuelle
Machtstrukturen bzw Selbstbestimmung denken, haben wir als erstes eine weiße cisgeschlechtliche, heterosexuelle abled-bodied Frau vor Augen. Wer den Beitrag von Joko und Klaas
zu sexueller Belästigung gesehen hat, weiß womöglich, wovon ich spreche.
Ich kann euch aber nicht alle Aspekte und Perspektiven zu diesem Thema geben, alleine schon aus
Zeitgründen, daher möchte ich euch das Thema versuchen aus meiner Linse näher zu bringen.
In diesem Internet gibt es ja immer mal wieder Hypes, um die man nicht drum rum kommt. In den
letzten Tagen war das der neue Song von Cardi B und Meghan the Stallion. Tanzvideos, Memes,
Reactionvideos. Das ganze Internet hat beschlossen, that‘s the new thing now.
Der Song heißt: Wet Ass Pussy.
Obszön? Anstößig? Nur deswegen so provozierend, weil sie schwarz sind oder weil es HipHop ist?
Oder eigentlich ein alter Hut? Ist ja schließlich nicht das erste Lied über weibliche Sexualität?
Warum ist der Effekt dann aber immer noch so enorm?

Das Patriarchat
Bei sexueller Gewalt geht es immer mehr um Macht als um Sex. Es ist eine Ausübung von Macht
durch Sex. Das heißt sexuelle Selbstbestimmung kann nur erreicht werden in dem auch die
Machtstrukturen als ganzes hinterfragt werden. Aber wie genau hängen diese beiden Dinge
zusammen?

Schritt 1: Objektiviziere und damit sexualisiere Frauen, Femmes und weiblich gelesen Personen.
Die Objektifizierung fängt schon früh an, sehr früh, eigentlich von Anfang an. Darauf muss ich
nicht genauer eingehen, das wisst ihr ja schon vom ersten Redebeitrag heute.
Meine Mutter, sie ist übrigens Erzieherin, hat darauf geachtet, meine Stärken zu fördern und hat
mich ermutigt selbstbewusst und autonom zu sein, statt mich in ein genderförmchen zu pressen.
Aber auch sie ist im patriarchalen System aufgewachsen und der Einfluss der weiteren Umwelt hat
ihre Spuren hinterlassen. Schon in der Grundschule dachte ich, ich wäre zu dick. Spätestens mit
dem Beginn der weiterführenden Schule musste ich mir regelmäßig Kommentare anhören, über
meine Nase, meine Behaarung, meine Brüste, mein Make-Up. Was soll ich sagen, das
Schönheitsideal der 90er/00er war nicht gütig mit mir. Ich habe seit ich 12 bin kein Freibad mehr
betreten. Das ist eine Scham, die man sich nicht so einfach wegreflektiert. Sex ist Körper und wenn
der Körper nicht frei ist, wie soll dann Sex befreit sein?

Schritt 2: Nehme Frauen, Femmes und weiblich gelesen Personen die Autonomie über ihre
Sexualität. Kreiere ein heteronormatives Rollenverständnis, in dem Männer maskulin sind, weil sie
dominant, aggressiv, raumeinnehmend sind und Frauen feminin, in dem sie unterwürfig,
zurückhalten und schön anzusehen sind.
Einen der ersten sexuellen Input, die Jugendliche erfahren sind Pornos. Welches Bild wird
Jugendlichen und Erwachsenen präsentiert, wenn fast ausschließlich Männer hinter der Kamera
stehen?
Im real life siehts dann auch nicht viel besser aus. Wer als Frau/weibl. Gelesene Person / femme viel
Sex hat oder mit mehreren Personen, ist eine Schlampe. Wer Sex zum Beruf macht, eine verlorene
Seele. Die Assoziation bei Männern: Selbstbewusstsein, etwas ganz natürliches, nämlich triebe,
boys will be boys, und wenn sie viel sex haben begehrte boys.
Das verzwickte am Patriarchat ist: du kannst nicht gewinnen. Egal was du tust, du wirst verurteilt
und gelabelt. Du zeigst dein Dekolleté: Schlampe. Zu zeigst es nicht: prüde.
Du bist leise: dumm, nicht ernstzunehmen. Du bist laut: anstrengend, hysterisch.

Das hetero-cis Patriachat
Das Patriarchat ist nämlich nicht nur: Männer unterdrücken Frauen. Die Norm ist Cisgeschlechtlich zu sein und hetero.
Dieses Hetero-Cis Patriarchat richtet sich gegen alles, was nicht reinpasst. Ganz besonders aber ist
es misogyn, es richtet sich gegen alles was als feminin verstanden wird. Männer die Nagellack
tragen: schwul. Oder in den Nuller Jahren: metrosexuell. Erinnert ihr euch noch daran, als man
extra einen Begriff erfunden hat, um Männer zu erklären, für die Hygiene kein Fremdwort ist.
Das Bild über Bisexuelle Menschen verrät uns viel über die Machtstrukturen. Bisexuelle Männer
sind eigentlich schwul und bei bisexuelle Frauen ist es eine Phase, ein Experiment. Also alle stehen
insgeheim doch eigentlich auf Männer? Oh und Bisexuelle Nicht- oder intergeschlechtliche
Personen? Genderwahnsinn.
Meine gleichgeschlechtliche Beziehung wird oft nicht ernst genommen, auf ganz unterschiedliche
Weisen, entweder direkt als nicht normal, oder als Phase oder ganz gönnerhaft als „süß“
Was auch manchmal passiert, ist dass sie von Frauen, die mit ihrer Heterobeziehungen unglück sind
idealisiert wird, weil man sich ja nicht mit einem Mann rumschlagen muss. Als hätte man dann gar
keine Probleme oder Streits in der Beziehung oder als könnten Männer sich nicht ändern und zu
guten Partnern werden.

Rassismus
Frauen, weiblich gelesene Personen und Femmes, die schwarz, indigen oder of colour sind, machen
andere Diskriminierungserfahren, als weiße.
Das liegt einerseits an der Exotisierung dieser Personen.
Damals als ich noch im Sunken Place schlummerte, nicht ganz so idyllisch wie Happyland, aber es
tut so als ob, dachte ich noch ich bekomme viele Komplimente für meinen Exoten-Faktor. Im
Nachhinein weiß ich, das war sexualisierter Rassismus. Persische prinzessin, persian cat…
Abenteuer ja, Beziehungsmaterial nein.
Eine weitere Diskriminierung, die in den Intersektionen entsteht ist das weiße Schönheitsideal. Und
ein dünnes noch dazu. Körperbehaarung ist ekelhaft, eine Frau muss aussehen wie eine Elfe, leicht
wie eine Feder, am besten knochig, leichtes glattes Haar, glatte helle weiche Haut, kein Härchen
darf zu sehen sein. Was also tun, wenn du dicke dunkle Locken hast, dunkle Körperbehaarung,
große Brüste, runde Schenkel, dunkle Haut? Ganz einfach:

Kapitalismus
Die Beautyindustrie ist ein riesen Geschäft: über 500 Milliarden Dollar jährlich, laut Schätzungen
soll es bis 2025 auf 800 Milliarden Dollar jährlich ansteigen
Für jedes Problem, jede Imperfektion gibt es ein Mittel.
Deine Haut ist zu dunkel? Bleichcreme. Deine Nase zu groß? OP. Deine Beine zu behaart? Waxing.
Deine Augen zu klein? Make-Up.
Würden auf einmal ab morgen alle Frauen, Femmes und weiblich gelesene Personen beschließen,
ihnen wäre ihr Aussehen komplett egal: unsere Wirtschaft würde zusammenbrechen.
Ob sich Frauen, Femmes und weiblich gelesene Personen der Objektifizierung entziehen wollen ist
aber eigentlich völlig egal. Sie werden sowieso beurteilt. Entweder sind sie das Mannsweib, die
Kampflesbe, die auf alle Ewigkeit verdammte Jungfer oder sie sind das Dummerchen, was leider
nur als Deko dient aber nix auf dem Kasten hat und gut aussehen und Feminismus passt eh schon
mal nicht zusammen.
Besonders schwer haben es Transfrauen. Sind sie zu feminin, wird ihnen vorgeworfen
Geschlechterrollen zu reproduzieren, sind sie zu maskulin, wird ihnen das Frau sein abgesprochen.
Selbstbestimmung und Freiheit
Sex wurde für mich erst gut, als ich erstens nicht nur meine Essstörung sondern auch die damit
verbundene Körperdismorphia überwinden konnte und zweitens die Möglichkeit bekam, Scripts zu
verlassen. Diese Scripts konnte ich erst über Bord werfen, als meine Sexualpartnerin kein Mann
war.

Sich von den Rollenbildern zu befreien und selbst zu bestimmen welches Gender, welche Sexualität
man hat, welche Beziehungsform, wie viel Sex man hat, wie dieser aussieht und mit wem er
stattfindet erfordert viel Arbeit, Experimentierfreude und Offenheit. Dafür muss man weder
bisexuell noch nicht-binär sein, noch in einer offenen oder polygamen Beziehung leben. Aber der
klassische Penis in Vulva Sex als heteronormative Praxis muss anders gedacht werden. Penetration
ist nicht gleich Sex und Sex ist nicht gleich Penetration. Mehr feministische Pornos können helfen.
Mehr Sichtbarkeit von weiblicher Sexualität auch und eine entsexualisierung auf der anderen Seite.
Warum werden zb immer noch Nippel zensiert? Aber mit dickpicks wird man am laufenden Band
konfrontiert? Und wir brauchen eine Beseitigung von Mythen. Zum Beispiel der weibliche
Orgasmus als ultra komplexes Geschehen. Warum hatten so viele Menschen mit Vulva mit Mitte
zwanzig immer noch keinen Orgasmus? Glaubt mir, das liegt bei den wenigsten daran, dass der
ominöse G-Punkt so schwer zu finden ist. Was wir brauchen ist eine Normalisierung von
Masturbation. Das erste Tabu, was es zu brechen gilt ist die Sexualität mit sich selbst.
Selbstbestimmung heißt übrigens auch, sich gegen Sex entscheiden zu dürfen oder Asexualität
anzuerkennen. Daher ist die Grenze der Provokation immer wieder bewusst auszuloten, während
die Welt endlich mit weiblicher Sexualität konfrontiert wird. In diesem Sinne möchte ich mit einer
kleinen Kostprobe von feinstem „female Sexspeech“ abschließen, (wie es Dr. Bitch Ray nennt:)

Put this pussy right in your face
Swipe your nose like a credit card
Hop on top, I wanna ride
I do a kegel while it’s inside
Spit in my mouth, look in my eyes
This pussy is wet, come take a dive
Bring a bucket and a mop for this wet ass pussy
Give me everything you got for this wet ass pussy

Parwaneh leistet nicht nur aktivistische Arbeit bei queering defaults, sondern ist auch Musiker:in:
https://parwaneh.bandcamp.com/

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Can_You_Hear_Me_Now%3F_-MeToo_(39787332552).jpg