Was alles wichtiger als Corona-Leugner:innen ist

Was alles wichtiger als Corona-Leugner:innen ist

Der folgende Redebeitrag ist von Einzelpersonen der Gruppe QueeringDefaults geschrieben worden. QueeringDefaults ist queer-intersektional und seit Juni 2020 in Leipzig aktiv.

Wen sehen wir heute in Leipzig? Wer ist gekommen, um angeblich für Grundrechte einzutreten und eine Freiheit einzufordern, die aber nur für eine ausgewählte Handvoll Menschen gilt? Wir sehen Esoteriker:innen, Schwurbler:innen, Kader von rechtsradikalen Organisationen, Rassist:innen, Antisemit:innen, Faschist:innen. Wir sehen Menschen, die in der Vergangenheit und auch heute aktiv zu Gewalt gegen BIPOC-Personen, gegen Queers und andere, die ihnen nicht ins Weltbild passen, aufrufen. Wir erkennen bekannte Gesichter, die im Internet hetzen, die in Connewitz damals dabei waren, die in Chemnitz standen, die Verbindungen in alle Ecken der Bundesländer haben.
Ja, das ist ein besorgniserregender Anblick. Uns ist bewusst, dass von Corona-Leugner*innen und allen Rechten jedweder Couleur, die sie begleiten, akute Gefahr ausgeht. Sie sind nicht zu verharmlosen. Das haben andere Redebeiträge heute bereits gut sichtbar gemacht.

Wir haben aber keine Lust, diesen Menschen viel Aufmerksamkeit zu schenken. Das, was sie auf einer inhaltlichen Ebene erzählen, ist quasi eine leere Luftblase, die gefüllt ist mit den wildesten Theorien, Lügen und fürchterlichen, menschenverachtenden Aussagen. Es ist für uns unerträglich, dass Menschen tatsächlich denken, dass sie auf so einer Grundlage für “Freiheit” kämpfen können.
Ihr, die ihr heute auf dieser Kundgebung seid, wisst aber bestimmt schon, dass Faschismus und Coronaleugnen nicht weit voneinander entfernt sind.

Deshalb möchten wir euch ein paar andere Dinge auf den Weg geben. Die folgenden Dinge finden wir wichtiger, als die Verschwörungserzählungen der Faschos:

Wichtiger als Corona zu leugnen, ist es jetzt nämlich, an die Menschen in den Wiens, den Halles und den Hanaus dieser Welt zu denken. Die Liste der Städte ist lang, die Namen aber werden wir nicht vergessen.
Wichtiger ist es daher auch, jeden Antisemitismus, jeden Islamismus und jeden antimuslimischen Rassismus, der sich als unberechtigte “Islam-Kritik” tarnt, als solche zu erkennen und zu verurteilen.
Wichtiger ist es, sich mit rechten, nationalistischen oder homofeindlichen Strukturen in allen religiösen Gemeinschaften kritisch auseinanderzusetzen.
Wichtiger ist es ebenfalls, dass die Angriffe auf Rojava aufhören und dass Proteste wie in Nigeria Beachtung finden.
Wichtiger ist die feministische Bewegung in Lateinamerika, die Kämpfe der Mapuche und anderer indigener Gruppen und die Revolten dort.
Wichtiger als Corona als etwas Ausgedachtes darzustellen, ist es, dass Rodungen für Profite gestoppt werden, Kohlekraftwerke abgeschalten werden und die Forderungen von jungen Menschen ernst genommen werden. Systemwandel statt Klimawandel!
So viel wichtiger sind aber auch die Kämpfe, die in Polen derzeit gegen die Abtreibungsgesetze und die PiS-Partei geführt werden.
Wichtiger sind die gegen widrigste Umstände andauernden Proteste in Belarus.
Wichtiger ist es, sich mit Änderungen des Selbstbestimmungsgesetzes zu befassen und endlich diese Farce zu beenden, zu der Trans*, Inter* und Nicht-Binäre* Menschen täglich gezwungen werden.
Wichtiger als Coronoleugnen ist es auch, Queerfeindlichkeit und die kapitalistische Nutzbarmachung unserer queeren Bewegungen aufzuhalten.
Wichtiger ist es, dass unser Feminismus die Überschneidungen von race, class und gender mitdenkt und dass Trans*feindlichkeit nichts im Feminismus verloren hat!
Wichtiger ist es, dass Barrieren abgebaut werden und dass die Menschen, die jeden Tag für Disability Justice kämpfen, gehört werden! Wir fordern mehr Geld für den Ausbau barrierefreier Räume, Veranstaltungen und Dolmetschungen.
Wichtiger ist es, dass Kunst- und Kulturschaffende nicht leer ausgehen und dass mit dem richtigen kritischen Maß gefragt wird, wieso OBI quasi 24/7 öffnen durfte, das kleine Café nebenan mit den Draußentischen aber nicht.

Wichtiger ist es, dass diejenigen, die nicht im home office arbeiten können, sichere Arbeitsschutzbedingungen erhalten und dass Menschen, die nicht arbeiten dürfen oder können angemessen unterstützt werden. Sex work is real work!
Wichtiger sind faire Löhne in der Pflege und bessere Pflegeschlüssel. Meistens sind es Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-Binäre*, Trans* oder Agender Personen, die Care- und Sorgearbeiten übernehmen. Das muss anerkannt werden!
Wichtiger ist es, an direct support zu denken, Gabenzäune wieder einzurichten und Soliaufrufe zu unterstützen.
Wichtiger ist es, dass alle in dieser Pandemie und ihren gesellschaftlich-politischen Auswirkungen ein Dach über dem Kopf haben.
Wichtiger ist es für uns daher auch, dass linke Freiräume bestehen bleiben, dass Menschen ohne Unterkunft eine Bleibe finden, dass Mieterhöhungen ausgesetzt werden und dass Zwangsräumungen gestoppt werden.
Und wenn wir schon von Wohnraum sprechen – Es ist doch ganz offensichtlich wichtiger, endlich einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten zu finden. Wieso musste Moria erst brennen und wieso interessiert sich keine:r dafür, dass die neuen sogenannten Unterkünfte, nicht mal Böden haben und was jetzt mit diesen Menschen und allen anderen, die auf der Flucht sind, eigentlich passiert?!
Wichtiger ist es uns auch, dass die NGOs, die vor Ort notwendigste Hilfe leisten, daran nicht gehindert werden!
Wichtiger ist es auch beiweitem, sich den ganzen “Einzelfällen” in der Polizei mal anzunehmen. NSU 2.0? Nordkreuz? Hannibal? Aber: “Nein, nein, die deutsche Polizei und die deutschen Behörden sind nicht rassistisch.”
Wichtiger ist es, Abschiebungen einfach mal sein zu lassen. #LeaveNoOneBehind und WirhabenPlatz sind keine leeren Phrasen!

Wichtiger, als zu behaupten, Corona gäbe es nicht, ist es schließlich, dass wir wütend sind!
Wir sind wütend, dass wir jeden Tag Kämpfe gegen Rassismus, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Klassismus, Ableismus, Antisemitismus, Antiromaismus/Antiziganismus und dann auch noch gegen die ganzen anstrengenden gesellschaftlichen Normen führen müssen.

Aber, und das ist uns ganz besonders wichtig, wir sind stolz auf das, das wir schon geschafft haben.
Wir sind stolz auf unsere Freund:innen, unsere Genoss:innen, unsere selbstgewählte Familie und unsere Communities.
Was uns Kraft gibt, ist, dass wir einander zuhören, fehlerfreundlich sind und uns gegenseitig mitdenken. Unsere Solidarität für einander macht uns stark. Und Solidarität? – Solidarität muss praktisch werden!
In diesem Sinne: the future is intersectional!